Wie alles begann…

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Es war das Jahr 2013! In diesem Jahr habe ich geplant mit dem Deutschen Kinderhospizverein nach Berlin zu fahren. Der Deutsche Kinderhospizverein hat in diesem Jahr eine Berlinfahrt für Menschen mit verkürzter Lebenserwartung organisiert. Meine Freundin berichtete mir davon und versuchte mich zu überreden, dass ich mich als Teilnehmerin für diese Fahrt anmelden soll. Ich war dem Ganzen skeptisch eingestellt, zumal es für Menschen „mit einer verkürzten Lebenserwartung“ war. Ich muss gestehen, das hat mich ein wenig abgeschreckt, worauf hin meine Freundin meinte: „Ist doch total egal, wie die Scheiße heißt, Hauptsache, wir verbringen ein paar schöne Tage in Berlin!“. Recht hatte sie! Also meldete ich mich für diese Fahrt an und schnell stellte sich heraus, dass alle Teilnehmer sich bereits untereinander kannten. Alle sechs Teilnehmer hatten eine Muskelerkrankung.
Die Organisatoren der Fahrt haben uns gebeten zu überlegen, was wir alles in Berlin sehen oder unternehmen möchten. Also tauschten wir uns untereinander aus und da bin ich wahrscheinlich meinem Liebsten aufgefallen.
Er schrieb mich nämlich seit dem regelmäßig über Facebook an und kommentierte jegliche Bilder von mir mit eindeutigen Komplimenten. 😉 Ich fühlte mich natürlich sehr geschmeichelt… Ich habe es geliebt mit ihm zu schreiben, wir haben bestimmt bis um 3 oder 4 Uhr morgens geschrieben und uns Dinge erzählt, von denen noch nicht mal unsere besten Freunde wussten. Es war, wie ich finde, eine sehr intensive Zeit und ich habe die Gespräche mit ihm sehr genossen! Doch irgendwie überkam mich ein mulmiges Gefühl… Nach geraumer Zeit fragte er mich immer wieder, ob ich mich mit ihm treffen möchte und ich bin ihm auf diese Frage immer wieder ausgewichen. Wie gesagt, dieses Gefühl, das ich nicht wirklich einordnen konnte oder eher gesagt nicht wollte.
Ich weiß, es klingt blöd und vielleicht auch ein bisschen gemein, aber einen Freund, der genauso körperlich „eingeschränkt“ ist wie ich, wollte ich nie haben. Und da war er, der Mann, der so charmant und bezaubernd zu mir war… und eine Behinderung hat, die meiner sehr ähnelt.
Ich habe so langsam gemerkt, dass ich auf dem Weg war, mich in ihn zu verlieben… Ich habe die ganze Zeit darüber nachgedacht, wie es wohl sein wird, wenn aus uns was Ernstes wird!
Aus Unsicherheit habe ich ihn immer wieder abgewiesen, aber er hat einfach nicht locker gelassen.
Ich hatte Angst… Angst davor, eine Fernbeziehung auf engem Raum zu führen! Schließlich können wir uns beide kaum bewegen. Wie ist das mit der körperlichen Nähe? Werden wir uns küssen können? Was ist zwischendurch mit den kurzen Umarmungen oder Streicheleinheiten, die man als Pärchen austauschen möchte? Wir beide haben eine 24 Stunden Assistenz. Wie wird es wohl sein, wenn zwei Menschen noch zusätzlich um uns herum sind? Kann es dann überhaupt zu intimen und romantischen Momenten kommen? Und wie sollen wir miteinander schlafen? Das sind Fragen, die mir die ganze Zeit nicht aus dem Kopf gegangen sind.
Naja, vor der Berlinfahrt haben wir gesagt, dass wir in Berlin zusammen ins Museum gehen. Als es dann soweit war, habe ich einen Rückzieher gemacht und ihm die kalte Schulter gezeigt. Wie gesagt, diese ganzen Fragen in meinem Kopf haben mich zerrissen. Ich habe mir einfach gedacht, wenn ich mich nicht mit ihm treffe, dann kann ich mich auch nicht in ihn verlieben. Ich bin ein sehr liebesbedürftiger Mensch und körperliche Nähe ist für mich sehr wichtig…
Also, an seiner Stelle hätte ich so ein unschlüssiges Mädel wie mich schon längst abgeschossen.
Nach der Berlinfahrt hat er sich trotzdem nochmal bei mir gemeldet und mir gesagt, dass ich ihn bestimmt in einer ruhigeren Atmosphäre kennenlernen möchte und dass er glaubt, dass mir das in Berlin zu viel Trubel um uns herum war und ich mich deshalb wahrscheinlich nicht auf uns einlassen konnte. Er lud mich noch einmal zu sich nach Hause ein, um mich zu bekochen und mit mir einen gemütlichen DVD Abend zu machen. Ich willigte ein und fuhr zu ihm nach Hause. Ich weiß es noch ganz genau, es war der 21. September 2013. Ich habe den ganzen Tag gebraucht, um mich für ihn hübsch zu machen und war mega aufgeregt… Ich fuhr mit dem Zug zu ihm und er holte mich am Hauptbahnhof ab, wie ein richtiger Gentleman. 😉 Er war soooo aufgeregt, was ich übrigens total bezaubernd fand. Es sollte an diesem Abend Pizza geben, was erst einmal nicht einwandfrei gelaufen ist, denn der Hefeteig, den er mit seinem Assistenten gemacht hat, wollte einfach nicht aufgehen… irgendwann ging er dann doch glücklicherweise auf, aber irgendwie wollte uns das Schicksal einen Streich spielen, denn als die Pizza im Ofen war, ist der Teig nochmal so sehr aufgegangen, dass die Hälfte des Pizzabelags runtergelaufen ist. Es war ihm sichtlich unangenehm, ständig sagte er: „Ich bin so ein Troll, alles läuft schief, ich wollte doch nur einen schönen Abend mit dir!“. Ich fand das alles sehr amüsant und es machte ihn irgendwie sympathisch!!
Wir haben uns zum Essen hingesetzt (unsere Assistenten haben auch mit gegessen) und da war es, dieses Gefühl wieder… Es war komisch, unsere Assistenten dabei zu haben, wahrscheinlich haben wir uns deshalb nur angeschwiegen. Unseren Assistenten war diese Situation auch unangenehm, also entschlossen wenigstens sie sich zu unterhalten und wir beide hörten ihnen zu. Verkorkst, oder?
Nach dem Essen haben wir angefangen einen Film zu gucken und es war wieder komisch, denn unsere Assistenten schauten mit uns den Film. Oouh man, wenn ich das jetzt hier so schreibe, muss ich lachen! Wir hätten ja direkt auf die Idee kommen können, unsere Assistenten raus zu schicken, aber anscheinend macht Aufregung einen ein bisschen doof. 😀
Dazu muss ich sagen, dass mein Liebster auch wirklich sehr schüchtern an diesem Abend war, dementsprechend wurde mir schnell bewusst, das ist ich die Initiative ergreifen muss. Nur wie? Die einzige Möglichkeit ihm nahe zu sein war, sich mit ihm ins Bett zu legen (wenn wir im Rollstuhl sitzen, ist es uns nur möglich Händchen zu halten). Aber gehört sich das für ein erstes Date? Gehört sich das für eine Lady, am ersten Abend mit dem Mann ins Bett zu steigen? Ach, was bedeutet schon Lady? Man lebt nur einmal, sage ich immer! Also faste ich meinen ganzen Mut zusammen und fragte ihn, ob wir uns ins Bett legen. Unsere lieben Assistenten haben uns natürlich sofort den Wunsch erfüllt und ließen uns alleine.
Und ab dem Zeitpunkt fing unser Date an! Wir haben so viel gemeinsam gelacht und viel erzählt… Alle paar Minuten klingelten wir nach unseren Assistenten, damit sie uns jedes Mal etwas näher aneinander rücken… Und da war plötzlich dieser Augenblick: wir schauten uns tief in die Augen und irgendwie war alles um uns herum vergessen… mein Atem stockte und mein Herz schlug unheimlich schnell! Es war der Augenblick, in dem man sich küssen würde. Ich kann mich noch genau an seine Worte erinnern: „Ich würde so gerne mein Arm um dich legen, dich an mich heranziehen und dich küssen!… aber dafür müssten wir unsere Assistenten holen…“. Irgendwie habe ich mich innerlich darüber geärgert, dass wir in diesem Moment wieder die Assistenten reinlassen mussten. Er hat es mir angesehen und meinte: „Wenn dir das zu unangenehm ist, dann kann ich das verstehen… Nur wäre es schade, oder?“. Ich zögerte zwar kurz, dachte mir aber: „Verdammt, du willst doch jetzt knutschen?!“. Also, haben wir nach unseren Assistenten gerufen und ihnen gesagt, dass sie fürs Küssen unsere Liegeposition ändern sollen. Es hat eigentlich gar nicht so lange gedauert, bis wir die perfekte Position gefunden haben. Anschließend verließen uns unsere Assistenten wieder und wir beide konnten uns hingebungsvoll küssen. Siehe da, küssen klappte schon mal ganz gut. Es war unbeschreiblich schön! Es war der erste Kuss seit langem… Ich hatte schon Sorge, dass ich das Küssen verlernt habe! 😀 Aber jegliche Sorgen dieser Art, waren unbegründet, es lief einfach perfekt. Ich glaube, wir haben uns ungefähr das erste Mal um 3:00 Uhr nachts geküsst und bis 6:00 Uhr früh durchgeknutscht. 😉 Wie gesagt, es war einfach wunderschön!
Am nächsten Tag fuhr ich nach Hause, mit gemischten Gefühlen… Auf der einen Seite ist da dieser Mann, bei dem ich mich irgendwie geborgen gefühlt habe und auf der anderen Seite sind ständig unsere Assistenten um uns herum und müssen uns in Situationen helfen, in denen man keine dritte oder geschweige denn vierte Person dabei haben möchte.
Zuhause angekommen, habe ich nur noch geheult, weil ich einfach nicht wusste, was ich tun sollte. Soll ich es versuchen? Was ist, wenn ich mit dem ganzen Drumherum nicht zurecht komme? Denn das Letzte was ich will, ist diesen wunderbaren Menschen zu verletzen!
Aber vielleicht läuft alles gut? Vielleicht können wir uns damit arrangieren? Vielleicht ist er sogar die Liebe meines Lebens?!
Ich habe einfach gemerkt, dass ich so sehr darauf fixiert war, mich auf keinen Fall in einen Mann zu verlieben, der eine ähnliche Behinderung hat wie ich und somit seine wundervollen Eigenschaften irgendwie ausgeblendet und nur noch schwarz gesehen habe. Ich habe ihm meine Sichtweise geäußert und er hat gesagt, dass wir nie herausfinden werden, wie es zwischen uns laufen kann, wenn wir es nicht einfach ausprobieren… Also probierten wir es 😉 und nun sind wir 1,5 Jahre zusammen!

Von klein auf wurde mir von meiner Familie, aber auch von Freunden und Bekannten eingetrichtert, dass ich doch bestimmt irgendwann einmal einen Mann finde, der genauso ist wie ich…
Ich glaube das hat irgendwelche Schäden in mir hinterlassen. 😀 Manchmal frage ich mich, ob ich meiner Umgebung etwas beweisen wollte, um vielleicht zu zeigen, dass ich wohl in der Lage bin, einen Mann ohne Behinderung „rumzukriegen“. Ich finde, dass ich mich mit dieser Einstellung auch selbst herabgestuft habe. Als ob ein Mann ohne Behinderung etwas besser sei oder einen höheren Wert hätte…
Hätte ich an dieser Vorstellung vom Traumprinzen festgehalten, wäre mir wohl der wundervollste Mensch, der mir jemals in meinem Leben begegnet ist, entgangen. Das wäre unheimlich traurig!

Ihr Lieben da draußen, Liebe ist so wunderschön! Wäre es da nicht traurig, wenn zwei Menschen, die füreinander bestimmt sind, nicht zusammenkommen, nur weil gewisse Vorurteile oder Vorstellungen bestehen…?
An alle Menschen mit, aber auch ohne Behinderung: Gibt einander eine Chance! <3

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Ganz viel Liebe aus Köln,
Katja <3

Sex – Kann ich meine persönliche Assistenz um Hilfestellung bitten?

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Es war ein ganz normaler kuscheliger Pärchenmorgen. Obwohl so ganz normal ist es doch nicht, oder doch? Mein Freund und ich wissen es auch nicht. Eins ist jedoch sicher, es ist nicht normal jemand zu fragen, ob man mich für den Sex „vorbereitet“.
Klingt alles komisch? Ich klär euch auf! Mein Freund und ich haben eine Muskelerkrankung (wie bereits im Einführungsblog erwähnt). Diese ist bei uns beiden stark ausgeprägt. Wir sind komplett auf Hilfe angewiesen. Beide haben wir eine 24h-Assistenz, die uns in unserem Alltag unterstützt. Es betrifft unser Berufsleben, Freizeitgestaltung…u.s.w. Natürlich spielt auch in unserem Leben Sex eine große Rolle. Leider können wir unser Sexleben nicht ganz nach unseren Vorstellungen und Wünschen ausleben. Wir haben zwei Sexassistenten, die es uns ermöglichen unsere Bedürfnissen auszuleben. Zwei Stunden kosten uns jedoch 400€. Dies führt dazu, dass wir höchstens einmal im Monat Sex haben können, weil es einfach zu teuer ist. Nach langem Überlegen hatten wir eine verdammt gute Idee: einer von uns beiden hängt sich in den Hebelifter und der andere bleibt im Rollstuhl sitzen, so sind wir in der Lage uns oral zu „liebkosen“. 😉

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(Der Elch auf dem Foto dient euch zur bildlichen Darstellung! Für alle, die auch so einen Lifter zu Hause besitzen, es ist die perfekte Sexschaukel;). )

Einen Haken gibt es allerdings! Unsere Assistenten müssten einen von uns in den Lifter hängen, selbstverständlich nackt. Natürlich verlassen unsere Assistenten das Zimmer und bekommen nichts von dem mit, was bei uns passiert. Darum zu bitten, kostet große Überwindung. Wir müssen uns öffnen und unsere Assistenz in eine absolute Intimsphäre lassen. Schwierig für beide Parteien! Es erforderte viel Mut unsere Assistenten zu fragen, ob sie uns auch dabei unterstützen.
Ich für meinen Teil hatte große Angst vor der Reaktion meiner Assistenten. Was ist, wenn es der Assistentin unangenehm ist und sie es trotzdem macht, weil sie mir damit einen Gefallen tun will? Ist das vielleicht eine Art sexueller Belästigung am Arbeitsplatz? Bin ich pervers, wenn ich darum bitte mich in den Lifter zu hängen? Das sind Fragen, die mir dann im Kopf herumschwirren. Wahrscheinlich werden jetzt einige denken, dass das berechtigte Fragen sind. Andere werden wohl beim lesen einfach nur schmunzeln.
Aber zurück zu unserem kuscheligen Pärchenmorgen. Wir haben geknutscht uns sexy Sätze ins Ohr geflüstert. Und dann kam sie: die Lust auf Sex! An dem Tag hatte ich eine Assistentin bei mir, die ich noch nie gefragt habe. Also ging ich mit ihrer Hilfe auf Toilette und fragte sie dann anschließend, ob sie mich in den Lifter hängen würde . Sie sagte daraufhin: „Ääh ja…ist in Ordnung…ist o.k. für mich. Ich mache es…“.
Und da war sie: die Reaktion vor der ich Angst hatte! Sie sagte zwar zu, aber es klang sehr zögerlich. Es fühlte sich an, als hätte ich einen Schlag ins Gesicht verpasst bekommen. In dem Moment habe ich mich auch irgendwie gedemütigt gefühlt….Scham überkam mich! Versteht mich bitte nicht falsch: Ich war ihr absolut nicht böse…ich hatte Verständnis. Ich hatte einfach nur das Gefühl, dass ich ihr damit zu nahe getreten bin und das wollte ich wirklich nicht. Was in ihr vorging, weiß ich leider nicht…ich habe mich nicht mehr getraut das Thema anzusprechen, was wahrscheinlich ein Fehler war. Ich wollte ihr nur nicht nochmal zu nahe treten. Ich bin dann zu meinem Freund gegangen und war einfach nur fertig…fertig von dem ganzen Gefühlschaos. Ich starrte heulend auf die Decke und tröstete mich mit dem Gedanken, dass nächstes Wochenende eine Assistentin da ist, die damit kein Problem hat und uns ihre Hilfe selbst angeboten hat. Ob das ein Trost war? Das weiß ich nicht. Wohl eher nicht, denn Sex wollte ich in dem Moment und dachte dabei nicht an nächste Woche…

 

Dazu muss ich sagen, dass mir das bereits vor über einem Jahr passiert ist. Ich habe mittlerweile gar kein Problem damit, meine Assistenten auf dieses Thema anzusprechen.
Mir ist bewusst geworden, je unsicherer ich mit dem Thema Sexualität umgehe, desto unsicherer gehen meine Assistenten damit um. Wenn eine neue Assistentin bei mir anfängt, spreche ich auch direkt das Thema Partnerschaft und Sexualität an. Ich erzähle ihr, dass ich einen Freund habe und dass wir zum Beispiel regelmäßig zu unseren Sexualassistenten fahren und dass es auch ihre Aufgabe ist, uns dahin zu begleiten. Daraus entsteht meist ein langes Gespräch, weil einfach viele Fragen bei den Assistenten aufkommen. Seitdem ich offener mit meiner Sexualität umgehe, reagieren unsere Assistenten (sowohl die meines Freundes, als auch meine) eigentlich nur positiv und bieten uns sogar Hilfe an, die wir nie im Leben annehmen würden. 🙂

Ihr Lieben da draußen, euch kann ich nur raten, steht zu euch und zu euren Wünschen und Bedürfnissen 🙂

Es wird sich immer ein Weg finden…

Eure

Katja <3